Kairo, die ägyptische Bürokratie und warum wir immer noch in el-Guna sind

29.04.2019 //// El-Guna hält uns fest im Griff. Wir erkunden Kairo während wir auf weniger Wind warten.

Wir wollten die Wartezeit nutzen, es bläst im nördlichen Roten Meer nämlich überwiegend mit 30 Knoten aus Nord, und verbrachten drei Tage in Kairo. Der Starkwind legt keine Pause ein und man kann nicht gegenan segeln oder motoren, zumindest nicht mit unserem Boot. Hinzu kommt das Ersatzteil, das die englische Firma nur im Schneckentempo zum Versand fertig machte und dann auch noch unseren Hinweis, dass UPS, eine amerikanische Firma, Ägypten nicht bedient, ignorierte. Schlussendlich dauerte es vier Tage bis das Teil von DHL, nicht UPS, beim Versender abgeholt wurde und zu allem Überdruss schicken sie, die englische Firma, uns die Tracking Nummer nicht. Wie unprofessionell!
Hätten wir vorher schon gewusst, dass unser Customs Permit nur 30 Tage gültig ist, das steht leider nur auf arabisch auf dem Dokument und auch die Zahlen sind im arabischen komplett anders, hätten wir uns den Ausflug nach Kairo gespart und stattdessen um unser Vorankommen gekümmert. Nun geht die ganze Bürokratie nämlich wieder von vorne los. Visa verlängern, ein neues Customs Permit und ein neues Sailing Permit einholen, einen weiteren Agenten bezahlen … etc. Wäre alles nicht so dramatisch, wenn nicht zusätzlich Ferien in Ägypten wären und wenn der Wind nicht gerade doch eine Pause einlegen würde und man so schön nach Sues fahren könnte. Inschallah.

Zoë und Leonard in Vorfreude auf den Genuss eines wunderbaren hausgemachten Eis

Mich lockten eher die kleinen Törtchen

Kairo

ist die erste Metropolenregion der arabischen Welt, die wir auf unserer Reise besuchen. Thomas hat uns ein Hotel in Zamalek, ein durch-gentrifizierter Stadtbezirk im Zentrum Kairos gesucht. Das ist auch gut so, der Kulturschock wäre sonst immens gewesen. Wir kommen nachmittags mit dem Bus an und geniessen einen Spaziergang durch das Viertel, das auf einer Insel inmitten des Nils liegt. Hier gibt es viel zu entdecken, alte Häuser, bunte Geschäfte von mini bis medium und leckere Spezialitäten. Nicht nur arabische, der französische Einfluss ist noch deutlich zu spüren. Es gibt Cafés mit kleinen Erdbeertörtchen, vorzüglichem Eis und bestem Kaffee. In unserem Hotel entdecken wir eine kleine Bar, die echten Büffelmozarella auf einer hervorragenden Pizza anbietet. Welch ein Luxus. Und das Publikum ist zu mehr als 50% weiblich. Das ist durchaus erwähnenswert, weil wir bis jetzt in Ägypten wenig Frauen in öffentlichen Räumen erlebt haben. Auch die Märkte und Geschäfte werden in der Regel von Männern geführt.

 

Was bitte schön soll man davon als Fussgänger halten? Hinter den Betonwänden verbergen sich zwei Botschaften.

Und wofür sind diese breiten Bürgersteige gut? … offensichtlich nicht mehr für die Bürger.

Okay, man muss fair sein. Der Tahrir Platz war der Ort, an dem in 2011 die Rvolution in Ägypten startete. Es haben viele Menschen dabei ihr Leben verloren und dann danach waren Ausländer und Touristen ein beliebtes Ziel für extreme Islamisten. Heute kann man wieder bedenkenlos durch die Strassen der Stadt flanieren. Die Polizei und das Militär sind in Ägypten überall präsent. Jede Brücke, jeder wichtige Platz, jedes Infrastrukturobjekt, jedes öffentliche oder halböffentliche Gebäude ist mehrfach abgesichert. D.h. der Tahrir Platz, das Herz von Kairo, ist nun auch komplett abgeriegelt und menschenleer.

Das mit dem öffentlichen Raum ist aber so eine Sache in Ägypten. Plätze sind gerne mal komplett gesperrt, es könnte sich ja eine Menschenmenge dort ansammeln. Bürgersteige existieren häufig gar nicht, auch nicht in den Städten, die wir besucht haben. Auf den Strassen mischen sich bunt Fußgänger, Autos, Eselskarren, Rikschas, Pferdekutschen, Motorräder und manchmal auch Fahrräder, die grosse Mengen Brot auf dem Kopf balancierend transportieren.

Wie macht er das mit dem Brot auf dem Kopf während er Fahrad fährt?

Eine grosse Ausnahme ist das modernen Kairo, ein riesiges Geschäftsviertel mit breiten Boulevards, das sich zwischen dem Tahrir Platz und dem Ramses Bahnhof erstreckt und vielleicht auch ein bisschen Zamalek, wenn da nicht die vielen Hindernisse aufgebaut wären. Vor allem die kleinen Buden der vielen Sicherheitsfirmen, der Polizei oder des Militärs sperren meist nicht nur große Bereiche des Bürgersteigs sondern gleich auch noch Teile der Strasse. Es stehen auch gerne mal große Anteile des Warenangebots oder riesige Pflanzenkübel vor den Geschäften rum. Und, weil die Ladenlokale häufig wirklich mini mini sind, wird die jeweilige Dienstleistung gleich auf der Strasse verrichtet. Manchmal ist es das Brot, das dort gebacken wird, manchmal sitzt der Schneider mit seinem Bügelbrett auf der Strasse und repariert Hosen, manchmal wird die Fleischerei auf den Bürgersteig ausgelagert, während der Laden saniert wird. Jedenfalls läuft man, wenn man halbwegs zügig vorankommen will, besser gleich auf der Strasse. Und sicherlich ist den Behörden dieser Wildwuchs ein Dorn im Auge.

Quasi mobile Änderungsschneiderei – gerade eben hatte er noch sein Bügeleisen auf den Knien

Das Fleisch kann auch auf der Strasse verkauft werden, während im Ladenlokal gebaut wird

Tag 1

Am nächsten Tag besuchen wir das Ägyptische Museum, ein besonderes Erlebnis, das einen eigenen Post verdient – link folgt.
Es gibt so viel zu entdecken, dass wir gleich den ganzen Tag bleiben und abends todmüde in unser Bett fallen.

 

Die Pyramiden von Gizeh

Tag 2

ist den Pyramiden von Gizeh gewidmet. Die zählen immerhin zu den 6 Weltwundern der Antike. Wir haben uns einen Taxifahrer organisiert, der pünktlich um 8 vor dem Hotel auf uns wartet. Für eine Tagestour sind 600 ägyptische Pfund vereinbart. Die Fahrt geht nach Süden, durch schier endlose meist informelle Wohnviertel in traurigem Zustand, alle Häuser sind unverputzt, der Bewehrungsstahl ragt aus der letzten Betonplatte heraus, die Fenster sind klein oder manchmal gar nicht vorhanden, Müll liegt nicht nur auf den Strassen sondern auch auf den tiefer liegenden Dächern der benachbarten Häuser. Auch vom Auto aus kann man sich die unwirtlichen Wohnverhältnisse, die dort vorherrschen müssen, bildhaft vorstellen.

Armenviertel wie diese gibt es zu Hauf in Kairo. Es ist schwer die Grenzen zwischen formeller und infromeller Nachbarschaft auszumachen.
Der Fahrer bringt uns zu einem Restaurant wo man eine Kameltour zu den Pyramiden buchen kann. Wollen wir nicht, na dann doch zum Eingang. Erst sind wir überrascht, es soll nur 180 Pfund, etwa 9 Euro pro Person, kosten. Später stellen wir dann fest, für den Preis dürfen wir die Pyramiden nur von aussen sehen. Für weitere 340 Pfund, also weitere 17 Euro p.P., dürfen wir einmal rein in die Grabkammer der grossen Cheops-Pyramide. Alles in allem eine liederlich betreute antike Stätte für deren Besuch Ausländer viel zu viel zahlen. Wir durften nur in die cheopspyramide, die größte, der drei großen.
Und, weil wir in Ägypten sind, läuft uns ständig ein Kameltreiber hinter her, um uns doch noch eine Kameltour zu verkaufen. Private Führer sind auch in Massen vor Ort. Und wenn man denen entkommen ist, wird einem sicher ein billiges chinesisches Mitbringsel angeboten, nur 1 Dollar! Ach ja, für Zoë wurden mir von einem Ägypter 1.000 Kamele geboten.
Bei all dem Rummel kommt man nicht wirklich dazu die Pyramiden in Ruhe zu betrachten. Schade eigentlich, man muss sich nämlich schon etwas bemühen, um sich vorzustellen, wie diese höchst präzise gebauten Gebäude zu ihrer Zeit wirkten, als sie noch mit weissen Ziegeln glatt verkleidet und von Tempeln umgeben waren.
Noch vor dem Mittag haben wir die Nase voll und lassen uns zum Hotel zurückfahren. Aus der Tagestour wurde eine Halbtagestour und trotzdem war der Fahrer enttäuscht als wir ihm die vereinbarten 600 Pfund überreichten. Er hat mehr erwartet obwohl die Fahrt kürzer ausfiel als besprochen. So oder so ähnlich ist es uns häufig ergangen, nicht mit allen Ägyptern, aber mit vielen.

Für alle die sich für die Pyramiden von Gizeh interessieren hier der link zu Wikipedia Pyramiden von Gizeh

Unsere erste Station im Souq von Kairo

Tag 3

wir möchten uns einen Eindruck von dem historischen Islamischen Viertel verschaffen. Wir nehmen eins von den Taxis, die vor dem Hotel warten. Der Fahrer spricht kein Englisch, daher erklärt der Portier ihm wo es hin gehen soll. Wir fahren wieder nach Süden, dabei liegt die Altstadt doch eigentlich im Osten von uns. Wir denken erst, er wird schon wissen, wo lang man am besten fährt. Dann sind wir aber soweit im Süden, dass wir intervenieren. Nach längerer Diskussion kehrt er also um und fährt nun in der Tat Richtung Islamische Stadt. Vielleicht wollte er uns ja wieder zu den Pyramiden bringen? Jedenfalls ist es nun fast Mittag als wir uns ins Getümmel des Souqs stürzen. Dieser Souq ist noch authentisch, d.h. ausnahmslos von Einheimischen besucht und entsprechend sortiert sich das Warenangebot. Durch Zufall beginnen wir unseren Rundgang in der „Plastik-Abteilung“. Unglaublich, was dem Kunden hier alles angeboten wird. Nur ein Beispiel, eine manuelle Waschmaschine, das ist ein Plastikbehälter mit Deckel, den man mit Wasser und Kleidung füllt und schütteln kann. Kein Wunder, dass die Meere voll sind mit dem Zeug.
Wir arbeiten uns voran in Richtung allgemeine Haushaltswaren. Die Menschenmenge wird dichter, die Gassen enger. Zwischendrin immer wieder Menschen, die versuchen mit Schubkarren die einzelnen Läden zu beliefern. Als wir bei den Kleidern angekommen sind, fängt der Imam an zu predigen und die Menge kommt kaum noch voran. Natürlich zeigt unser Stadtplan das Gewirr von Gassen nicht. Die Gebäude sind auch in grossen Teilen nur improvisiert. Wir überlegen und versuchen uns an der Himmelsrichtung zu orientieren. Mittlerweile sind wir bei den Dessous für Frauen angekommen.  Das Gebet des Imam wird fast schon unerträglich laut. Wir verstehen zwar kein Arabisch, aber der Duktus der Sprache klingt, als ob er aufgebracht auf die Menge einredet. Wir finden einen Abzweig, der weniger stark frequentiert zu sein scheint. Es gibt Teppiche und nachher auch Schmuck. Die Frauen sitzen hier sichtlich erschöpft auf dem Boden, ruhen sich aus oder warten vielleicht einfach nur auf ihre Männer, die in irgendeiner Moschee zum Gebet verschwunden sind.

Endlich ein nahezu grosszügiger Platz inmitten des belbten Souqs

Die Himmelsrichtung scheint richtig gewesen zu sein. Die Gassen werden breiter, wir sind in der Abteilung für Metallverarbeitung gelandet und sehen auch bald eine in unserem Stadtplan eingezeichnete Strasse, die zur Hauptmoschee dieses Stadtteils führt. Hier findet man nun auch das ein oder andere Hotel, ein paar kleine Imbisse und ein auf Touristen zugeschnittenes Warenangebot. Junge Mädchen sitzen auf den Treppen und zeichnen die Gebäude, die mit Unterstützung des Agha Khan Trusts restauriert wurden.


Sanierte Gebäude im Islamischen Viertel

Wir erreichen die imposante historische Stadtmauer und sehen direkt gegenüber eines der vielen Armenviertel von Kairo. Angeblich soll die etwa die Hälfte der Bevölkerung Kairos in sogenannten informellen Siedlungen wohnen. Das sind dann etwa 10 Millionen! Kairo besitzt mit Imbaba eines der grössten Armenviertel weltweit.

Stadttor der historischen Altstadt

Nach dem Mittagessen geht es weiter durch die Gassen des Islamischen Viertels. Nun sind wir in der Abteilung Großküche gelandet. Wir kaufen ein paar Metallschüsseln und Becher fürs Boot und suchen uns ein Taxi, das uns zum Gayer-Anderson Museum bringen soll. Das Taxi ist schnell gefunden, aber voran kommen wir nicht. Wir stehen im Stau, es geht gar nicht voran. Wir schwitzen und bedauern die Menschen, die neben uns in sehr sehr engen kleinen Bussen sitzen und sicher noch viel mehr schwitzen. Rechts von uns und auf der anderen Straßenseite stehen und liegen Schafe auf der Hauptstraße, die wahrscheinlich zum Markt gebracht werden. Nach 20 Minuten und vielleicht hundert Metern geben wir auf. Wir suchen die nächste U-Bahnstation, die uns immerhin schnell und günstig ins moderne Kairo bringt. Nach Zamalek fährt sie noch nicht, denn es gibt bislang nur zwei einhalb Linien. Dort, im zentralen Geschäftsviertel von Kairo, ist die Verkehrssituation nicht besser. Alle Straßen sind verstopft, die Autos stehen mehr oder weniger still, geben dafür aber ein Hupkonzert sondergleichen von sich. Wir laufen weiter zu Fuß.

Professionelle Kücheneinrichtungen kauft man in Kairo auch auf dem Souq

Kaffeehäuser gibt es an jeder Ecke, in allen möglichen Preisklassen und natürlich gibt es auch die Männer, die Wasserpfeife rauchen

Auch für das leibliche Wohl wird gesorgt, wobei das hier oben, die Schafsköpfe, nicht unsere Wahl fürs Mittagessen war

Schafe gehören natürlich auch dazu, zu einem richtigen Souq

Weil die Wohnsituation für viele in Kairo so schlecht ist, wurden und werden riesige Satellitenstädte errichtet. Auf der Hinfahrt sind wir an den östlichen Stadterweiterungen vorbeigekommen. In wenigen Jahren entstehen hier Siedlungen für 2.4 Millionen Menschen. Das ist mehr als die Hälfte von Berlin. Optimistisch stimmen uns diese Zahlen jedoch nicht. Weiterhin ist das Auto das Verkehrsmittel schlechthin. Es gibt keine Anbindung ans Zentrum durch Züge oder Straßenbahnen und auch im Innern dieser riesigen Gated Communities sind die Infrastruktureinrichtungen dürftig. Außerdem lesen wir im Internet, die Mietpreise müssen so niedrig angesetzt werden, dass die Eigentümer vor Vertragsabschluss quasi den Kaufpreis der Wohnung als Backschisch haben wollen und das bedeutet natürlich, sie sind für den Normalverdiener nicht bezahlbar. Trotzdem die Zahlen sind beeindruckend, vor allem die Geschwindigkeit in der hier Wohnraum entwickelt wird.

New Cairo vom Bus aus gesehen – mittlerweile gibt es schon eine zweite Stadterweiterung in der Wüste Richtung Osten, da die erste nicht erfolgreich war

New Cairo vom Bus aus gesehen

Ideen und Anregungen zur nachträgliche Verdichtung gibt zu Hauf – häufig werden bestehende Gebäude einfach aufgestockt

wie hier in Zamalek

Gerne wird auch die kleinste verfügbare Niche genutzt, um einem Geschäftsmodell nachzugehen und ein paar Pfund dazu zu verdienen

In Zamalek sieht das ganze dann etwas professioneller aus – in das grosszügig konzipierte Ladenlokal, links zu sehen, wurde einfach eine Geschossebene eingezogen und ein kleiner Teil des Bürgersteigs abgezwackt, so dass ein voll ausgestattetes Restaurant entstehen konnte

Zurück in el-Guna

Nun sind wir zurück im kleinen beschaulichen el-Guna, in dem im übrigen sonderbare Bestimmungen gelten. Nicht jeder darf hier rein fahren. Die Einfahrten von der Autobahn werden wie Grenzen geschützt und kontrolliert. Manche Autos müssen umkehren.
Es herrschen ideale Bedingungen für die Weiterfahrt, aber wir müssen warten bis unsere Papiere zusammen sind. Heute ist Feiertag in Ägypten, da geht erst mal gar nichts. Morgen vielleicht …  Inschallah … nun dann wird der Wind sicher wieder in voller Stärke aus Nord wehen.

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