Schon am Flughafen in Christchurch fühlte Mama sich krank. Deswegen ging es direkt, nachdem wir ein Mietauto hatten, zu einem Arzt. Doch das mit dem Mietauto gestaltete sich komplizierter als gedacht. In der Autovermietung – zur der wir in einem überfüllten Kleinbus gelangten – stellte sich heraus, dass sie Papas europäischen Führerschein nicht akzeptierten. Also mussten wir über eine Stunde warten, bis der Führerschein übersetzt worden war. Mama hatte Schmerzen, Leo und ich Langeweile, die sich in der 24-hour surgery fortsetzte, wo wir natürlich wieder warten mussten. Als Mama ihre Medizin hatte und klar gestellt war, dass sie eine Blasenentzündung hatte, ging es ins Motel. Wo dann direkt mein persönliches Drama andockte. Das Internet. Auf Nachfrage bekamen wir ein paar Zettel, mit denen wir uns einloggen konnten. Kein Problem, oder? Doch. Ich schaffte es, zwei 3-5 min Christchurch Erdbeben YouTube Videos zu schauen, dann wurde ich herausgeschmissen. Die Zettel hatten begrenztes Datenvolumen. War dieses Datenvolumen alle, musste man sich neues kaufen. Da war ja sogar noch Französisch Polynesien besser: 100 für 100 Stunden Internet. Am nächsten Tag ging es auf meinen Wunsch hin nach Quake City, das Erdbeben Museum von Christchurch. Aber davor besichtigten wir noch die alte Kathedrale, sowie die neue Cardboard Cathedral. Diese besteht aus Pappe, Holz und Stahl. Ich muss zugeben, dass wir Kinder etwas enttäuscht waren, erwarteten wir doch eine Kathedrale aus Pappe. Entworfen wurde sie von einem japanischen Architekten, Shigeru Ban. Die alte wurde bei dem Erdbeben am 22 Februar 2011 ramponiert. Klarer: verlor ihren kompletten Turm, und in einem Nachbeben auch ihre Bunt-Glas-Fenster. Nach dem Erdbeben gab es erst mal fast nichts mehr für die Menschen, kein Wasser, kein Strom, keine Toiletten. Die Leute wurden kreativ und bastelten sich im Garten eigene Plumpsklos und zum Duschen fuhren sie in Stadtteile, die noch Wasser hatten.
Nachdem wir durch Quake City durch waren, ging es direkt weiter, zu einem kleinen Haus in Fairlie. Auch hier hatten wir mit dem Internet so unsere Probleme. Mal ging es, mal war es gar nicht vorhanden. Dafür hatte der Kühlschrank eine Eismaschine, die von Leo eifrig genutzt wurde, der jedem eisgekühlte Getränke anbot. Auch hier blieben wir nur eine Nacht. Die nächste verbrachten wir Cardrona, im Cardrona Hotel, wo sogar schon Prince Harry zu Gast gewesen sein soll. Bevor wir dort allerdings ankamen, wurde eine Wanderung zu einem Gletschersee unternommen. Einziger Haken, es gab keine Gletscher! Weit und breit konnte ich keinen entdecken. Das Wasser war aber eindeutig milchiges Gletscherwasser. Sooft ich auch nachfragte, irgendwie verstand ich nicht wie das Wasser in den See gelangte. Alle erzählten irgendwas von Eiszeit und Steinzeit und Neuzeit. Schlau wurde ich da, wie gesagt, nicht draus. Interessanter war da schon die Sternwarte, die sich ebenfalls auf dem Hügel befand. In der Gegend soll es nämlich den schönsten Sternenhimmel ganz Neuseelands geben. MaPa, die ihn sich letzte Nacht angesehen hatten, meinten, dass der Himmel nichts besonderes wäre im Vergleich zu dem, den wir auf See in einer sternklaren Nacht erblickten. Dann kommt natürlich die Frage, warum man Sternwarten eigentlich nicht auf ein Schiff verlegen kann? Ich meine, es gibt ja auch riesige Kreuzfahrtschiffe, oder? Also ich finde, da könnte man ruhig mal der Wissenschaft zur Seite stehen. Am nächsten Morgen wurde ich auf unhöflichste Art früh geweckt. Ein gewisser Leo telefonierte direkt neben meinem Bett mit seinem besten Freund. Als ich ihn beim Frühstück zur Rede stellte, warum er Bitteschön morgens von Jan angerufen wurde, leugnete er alles und tat so, als hätte ich es mir im Halbschlaf eingebildet. Also wirklich! Erst von Mama erfuhr ich, dass dieses Telefonat nicht meiner frühmorgendlichen Fantasie entsprungen war und auch Leo gab zu, mit Jan telefoniert zu haben. Bloß habe er ihn angerufen und nicht umgekehrt, wie ich vermutet hatte. So eine Haarspalterei. Der Gerechtigkeit wegen muss hinzu gefügt werden, dass mein Bruder nicht der einzige war, der morgens früh telefonieren musste. Bei uns in Berlin hatte es irgendeinen Vorfall mit der Heizung und dem heißen Wasser gegeben und Papa musste das regeln. Dementsprechend müde war ich dann auch, als wir das erste Mal einen Blick auf Queenstown warfen. Allerdings wurde ich schnell wieder wach, als wir Central Otago erreichten, was ich sofort als Location in der Hobbit wieder erkannte. Doch trotz allen Versuchen mich an der Herr der Ringe zu erinnern, gelang es mir nicht, diese Ebene mit den Filmen in Verbindung zu bringen.
Die Nacht verbrachten wir in einem Bed and Breakfast, was von mir glatt fünf Sterne erhält, obwohl wir uns ein Bad mit einem fremden Pärchen teilen mussten. Der Grund? Leo und ich hatten unser eigenes Zimmer – keine störenden Telefonate in aller Frühe! – und das Internet funktionierte hervorragend ohne dass man extra hätte dafür bezahlen müssen. Ich erinnerte mich mit Sehnsucht an dieses Haus, da wir die nächsten zwei Nächte in einem Backpaker Hostel verbrachten, wo wir alle zu viert in einem kleinen Raum schliefen und das Internet mehr als launisch war. Wobei ich zugeben muss, dass die Lage und die Herberge als ganzes betrachtet wirklich schön waren. Und die Wanderung am nächsten Tag auch. An Fluss und See entlang. Ja, wirklich schön. Erholung von der Herberge gab es dann in einem Motel am See, wo Leo und ich zwar kein eigenes Zimmer, aber einen abgetrennten Bereich zur Verfügung hatten. Und das Internet funktionierte auch wieder. Zumindest einigermaßen. Doch die Liebe und die Atmosphäre, die die Herberge auch ohne Internet ansprechend gemacht hatten, fehlten. An dem Tag besuchten wir außerdem noch den berühmt berüchtigten Milford Sound. Obwohl es in einer Tour regnete, war der Weg dorthin beeindruckend. Sehr grün und überall gab es Wasserfälle. Auch erwähnenswert ist der one way Tunnel, der aus nicht behauenem Felsstein bestand. Wirklich eindrucksvoll. Der Milford Sound war dann aber eher unspektakulär. Ob das nun daran lag, dass alles in Nebel und Wolken lag und wir nass wurden oder daran, dass wir eine solche Landschaft schon aus den chilenischen Kanälen kannten, vermag ich nicht zu sagen.
Vielleicht lag es auch an den vielen Touristen. Apropos, wusstet ihr, dass es in Neuseeland übermäßig viele deutsche Touris gibt? An jeder Ecke hört man Deutsch. Das Railway Hotel, wo wir die nächste Nacht verbrachten, war dann auch super. MaPa hatten ein Bad, Leo und ich mussten das Bad auf dem Flur nutzen, wenn wir sie nicht stören wollten. Von Frühstück war nicht die Rede, wir aßen unseren eigenen Kram. Zu der Zeit wünschte ich mir sehr stark ein ganz normales, leckeres Frühstücksbuffet zu haben. Aber in diesem Hotel Fehlanzeige. Dafür gab es Internet. Ist alles eine Sache der Einstellung. Erwartet man viel, wird man enttäuscht. Erwartet man nichts, freut man sich über alles was man bekommt. Was sich auch in der nächsten Herberge wieder zeigte. Wieder schliefen wir zu viert in einem Raum, wobei diesmal Leo und ich jeweils ein eigenes Stockbett hatten. Die Gemeinschaftsküche war, Papas Meinung, relativ lieblos, die Toiletten und Duschen befanden sich auf dem Flur. Auch hier verbrachten wir zwei Nächte. Papa, und mit ihm auch Mama und Leo, hatten sich in den Kopf gesetzt eine Wanderung mit Übernachtung zu machen und während Mama und ich den ersten Tag recht faul verbrachten – sie lag im Bett und ruhte sich aus, ihre Blasenentzündung hatte sich wieder gemeldet und ich duschte – versuchten die Jungs Decken für die Wanderung zu besorgen, da es sowas in den Hütten wohl nicht gibt. Es war aber auch der perfekte Tag für eine Ruhepause, denn es regnete schon wieder. Was sich als ziemlich unpraktisch herausstellte Es fing damit an, dass der Track wegen zu viel Wasser gesperrt war. Aber nein, aufgeben kommt nicht in Frage! Und außerdem sollte er um 11 an diesem Tag wieder geöffnet werden. Also warteten wir und ließen uns von den Sandfliegen zerstechen. Echt jetzt, die sind fast noch schlimmer als Mücken! Endlich kommt der Ranger und öffnet den Track. Mit dem Tipp, die Schuhe für die erste Flussüberquerung auszuziehen. Gesagt, getan. Der Weg ist an manchen Stellen schmal und manchmal steht er total unter Wasser. Alles in allem, Abenteuer! Allerdings ist es auch glitschig. Kein Wunder also, wenn Leo, der überschwängliche Wanderer, ausrutscht. Ich lief vor ihm und bekam daher hautnah mit, wie er auf einem Baumstamm ausglitt, einen Purzelbaum in der Luft machte, auf dem Arm landete und anfing zu schreien. Auf der Stelle war ich da und auch Papa half ihm auf. Leo schrie. Er wusste sofort, dass er sich den Arm gebrochen hatte, obwohl er unter Schock stand und weiß war wie das Bettlacken im vorletzten Hotel. Wir drehten also um und liefen zurück, ich stützte Leo, der gleich zwei Schokoriegel und Schmerztabletten bekommen hatte. Es kam mir ewig vor, bis wir endlich wieder in Fox Glacier waren, wo unsere Herberge und die nächste Krankenstation war. Dort mussten wir erst mal warten. Die Krankenschwester tauschte Mamas Schal, der als Schlinge hergehalten hatte, gegen eine professionelle Schlinge aus, empfahl uns gefrorene Erbsen zur Kühlung zu besorgen und schickte uns ins einzige Krankenhaus an der Westküste. In Greymouth. Dort ging es also als nächstes hin. Wir waren ruhiger und Leo hatte keine Schmerzen mehr, weil er noch mal stärkere Schmerztabletten bekommen hatte. Die ersten von vielen, die noch kommen würden. In Greymouth mussten wir wieder warten. Ganze vier Stunden. Irgendwann sind Papa und ich zu dem Backpacker gefahren, wo wir die Nacht verbringen würden, um einzuchecken. Als wir zurück kamen, war Leos Arm eingegipst und wir wurden weiter nach Christchurch geschickt, denn er musste operiert werden. MaPa entschieden, erst morgen früh nach Christchurch zu fahren, was dafür sorgte, dass wir am nächsten Tag um vier Uhr morgens aufstehen, frühstücken und losfahren mussten. Kein Wunder also, dass ich den ganzen Tag total in den Seilen hing. Im Krankenhaus in Christchurch haben wir wieder gewartet bevor Leo operiert wurde. Er bekam eine Vollnarkose und als er endlich wieder erwacht war, wir also zu ihm durften, lag er in einem dieser Krankenhausbetten, die man hoch und runter fahren kann und sah so aus, als wäre er am liebsten sofort wieder eingeschlafen. Er wurde in ein Einzelzimmer gebracht und – Tatsache – war schon auf dem Weg dorthin wieder eingeschlafen. Ich blieb den Nachmittag über da, während Mama ihm des Nachts Gesellschaft leistete. Papa und ich indessen schliefen in einem Appartementhaus. Leo und ich hatten dort ein eigenes Zimmer, auch wenn ich es die erste Nacht für mich hatte, da er ja im Krankenhaus übernachtete. Es war ganz dunkel und ich wurde nicht müde, mich darüber zu wundern, warum der Architekt nicht einfach noch ein Fenster dazu entworfen hatte. Am nächsten Tag beschloss Papa, dass Leo jetzt lang genug im Bett gelegen habe und da auch nur noch ein paar Papiere fehlten, wurde entschieden, dass wir später noch einmal wiederkommen und diese holen könnten. Während Mama im Appartement blieb, besuchte Papa mit uns das Kunstmuseum und wir gingen Eis essen. Nachher holten wir noch die Papiere und schon waren wir frei. Von mir wurde Leo von da an nur noch Dornröschen genannt, weil er so viel schlief.
Der Rückflug gestaltete sich als ziemlich einfach. Vor allem für Leo, der nichts tragen musste. Nachdem die Stewardess geprüft hatte, dass Leos Gips nur halb war, also nur die äußere Hälfte seines Armes bedeckte, durften wir als erstes ins Flugzeug. Dort bekam Leo noch zwei extra Kissen, um seinen Arm hochzulegen. Es war ein angenehmer Flug.
Geschrieben von Zoë 26 – 28 März 2018